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Immer dieser Zeugnisstress

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Früher gabs noch eine Predigt, heute wird Papa auch schon mal panisch. (Foto: Getty Images)

Bald ist es geschafft. Die meisten Abschlussfeste sind gefeiert. Die Kinder taumeln zwischen Übermüdung und Überzuckerung den Sommerferien entgegen. Seit Tagen bringen sie statt Hausaufgaben Migros-Säcke voll mit Heften und Basteleien nach Hause. Das sich leerende Klassenzimmer wird zum Kinosaal umfunktioniert. Es gibt Popcorn und Coci statt Voci.

Und morgen um 11 Uhr ist dann endlich Schluss! Aber halt: Bevor es klingelt, gibt es noch Zeugnisse. Oder, wie es bei uns so schön heisst: Beurteilungsberichte. Schon die Erstklässler werden bewertet. Zwar nicht mit Noten, aber eigentlich wissen alle, dass ein «sehr gut» im Schreiben eine 6 wäre, ein «ungenügend» im Sport eine 3. Beurteilt werden nicht nur die Fächer, sondern auch das Arbeits- und Lernverhalten. 

Was wird benotet?

Bei «Plant und organisiert die Arbeit zweckmässig» kann die Lehrperson auswählen, ob das meistens, selten oder irgendwo dazwischen zutrifft. Andere Bewertungspunkte sind «Zeigt auch nach Misserfolgen Einsatz», «Lässt sich wenig ablenken» und «Kann mit anderen zusammenarbeiten». Wenn ich an meinen Arbeitsalltag denke, kommen mir einige Erwachsene in den Sinn, bei denen ich das Kreuzchen nicht überall ganz links machen würde – ich selbst eingeschlossen.

Wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Und die Schule ist keine Vorbereitung darauf, sondern das Rennen beginnt schon in der ersten Klasse. Ob Zeugnis oder Beurteilungsbericht: Das Kind bekommt Ende Schuljahr schwarz auf weiss eine Rückmeldung zu seiner Leistung. Aber Zeugnisse zeigen nicht alles. Mein Sohn ist zwar ein bequemer Zeitgenosse, der nie lernt und Hausaufgaben so selten wie möglich macht. Trotzdem wird er in Mathematik vermutlich mindestens eine Fünfeinhalb bekommen. Ein anderes Kind hat vielleicht das ganze Jahr geübt, sich angestrengt, zusätzliche Hausaufgaben gemacht und mit den Eltern fleissig das grosse Einmaleins geübt – und bekommt für seine Bemühungen trotzdem nur eine Viereinhalb. Welches Kind hat mehr geleistet? 

Schlechte Noten – schlechte Stimmung

Die Noten zeigen nicht die eigene Lernkurve, sondern wie man im Vergleich zu den Klassenkameraden dasteht. Um gut zu sein, muss man besser sein als die anderen. Aber ist das die richtige Motivation fürs Lernen? 

Selten stressfrei: Zeugnistag. (Foto: iStock)

Für viele Kinder bedeutet der Zeugnistag Angst und Stress. Zuerst gilt es, das Zeugnis einzupacken, bevor die Kameraden – «Was häsch?» – einen Blick darauf werfen können. Dann schlurfen sie langsam nach Hause, die Zeugnisblätter liegen schwer wie Steine im Schulthek. Daheim warten die (an-)gespannten Eltern. Die Mutter öffnet das Zeugnis, fotografiert mit dem Handy die Noten und schickt sie dem Vater – mit einem Smiley, das den Mund zu einer Zickzacklinie verzieht. Vielen Eltern rutscht an dieser Stelle eine saublöde Bemerkung raus wie: «So kommst du aber nicht ins Gymi!» oder «Du bist einfach ein Minimalist!».

In diesem Moment denken wir Eltern nicht an Bildung im ganzheitlichen Sinn. Wir sehen nur noch Zahlen und rechnen uns den beruflichen Erfolg unserer Kinder aus. Aus dem 1A-Sohn soll mal was werden: Arzt, Anwalt, Architekt. Also muss er ins Gymi, oder in Bern zuerst in die Sek und dann in den Gymer. Für den Übertritt zählt bereits die Leistung in der fünften Klasse. Und was, wenn das Kind schon in der zweiten Klasse in Mathematik beim Bewertungspunkt «Vorstellungskraft» nur knapp genügend ist? Uuiui! Die Vorstellungskraft der Eltern ist leider gross genug, um sich bereits jetzt Sorgen zu machen.

Entspannen Sie sich!

Aber bringt das was? Werden die Noten besser, wenn man dem Kind am Zeugnistag so richtig ins Gewissen redet? Wenn man den Sohn für jede Vier zur Schnecke macht? Oder der Tochter 50 Franken pro Sechser im nächsten Zeugnis verspricht?  Ich habe mir bereits vor der Einschulung der Kinder vorgenommen, diesen Noten und Berichten nicht zu viel Gewicht zu geben. Ich schaue das Zeugnis kurz an, kommentiere vielleicht Unterschiede zum Vorjahr und frage das Kind, was es von seinen Noten hält – und fertig. Weder analysiere und kritisiere ich «schlechte» Noten, noch lobe ich überschwänglich für die «guten» Noten. 

Zeugnisse sind eine interessante Rückmeldung. Die Kinder sind aber nicht ihre Noten. Sie können mehr und anderes, als diese Zahlen und Kreuze zeigen. Ihre Zukunft und ihr Lebensglück hängen nicht davon ab, ob sie im Franz in der vierten Klasse eine Fünf haben oder eine Viereinhalb. Ob Drei, Vier oder Fünf: Am letzten Schultag gehen wir jeweils einen Coupe essen. Mit dieser kleinen Familientradition feiern wir das Ende des Schuljahrs. Zum Spass probieren und benoten wir alle Glace-Kreationen auf dem Tisch. Dass der Bananasplit letztes Jahr Noten zwischen Drei und Sechs bekam, sagt übrigens auch etwas aus über Zeugnisse.

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Der Beitrag Immer dieser Zeugnisstress erschien zuerst auf Mamablog.


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