«Oha, wo kommt das denn her?», denke ich und versuche mich zu orientieren. Ich sitze in meinem Auto und checke Rück- und Seitenspiegel, um zu sehen, ob das dringliche Tatü-Tata irgendwo hinter mir ist. Nichts zu sehen, Seitenstrasse vielleicht? Ich stehe an einer Kreuzung, die sich direkt vor der Ampel wegen einer Baustelle auf eine Spur verengt, und frage mich mit ansteigender Nervosität, wohin ich bei Bedarf wohl ausweichen könnte. Seitenstrasse auch nicht. Dann beginnen sich die Fahrzeuge hinter mir allmählich auseinander zu bewegen, obwohl das in dieser Trichterformation mit Korkenverschluss an der Ampel so gut wie unmöglich ist.
«Feuerwehr!» jubelt meine Zweijährige. «Polizei! Krankenwagen!!» ergänzt mein Vierjähriger und fängt vor Freude an, auf seinem Sitz herumzurutschen.
Grosse Show – ohne blutige Details
«Was machst’n jetzt?», erkundigt sich mein grosser Sohn halb gelangweilt, halb interessiert. Ich überlege. Kraft meiner Gedanken die Raumzeit so zu falten, dass unsere riesige Familienkutsche aus diesem Dilemma verschwindet, wird wohl nicht funktionieren. Ich kann ja Kraft meiner Gedanken noch nicht mal Wasser erhitzen. Geschweige diese Trichteranordnung mit verschliessendem Verkehrszeichenkorken auflösen. Aber die Ampel kann. Schliesslich und endlich schaltet sie doch auf grün, die zwei Autos vor mir fahren auf die Kreuzung und weichen aus. Ich schliesse mich ihnen an.
«Hurra!» brüllen die Kleinen, als der Krankenwagen an uns vorbeischiesst. «Krankenwagen, Krankenwagen!» Und nicht zum ersten Mal hinterlässt die Absurdität der Situation einen bitteren Beigeschmack. Denn es sind nicht nur meine Kinder, die Einsatzfahrzeuge lieben. Sie freuen sich über Unfälle, Krankentransporte und Polizeieinsätze. Am liebsten hätten sie einen Hubschraubereinsatz, an dem mehrere Bodenfahrzeuge und schweres Gerät beteiligt sind. Damit so richtig was los ist. Wie in ihren Bilderbüchern. Was genau dahintersteht, können sie allenfalls erahnen. Woher sollten sie auch die Details kennen, wenn ihre Bilderbuchwelten und Erziehungsberechtigten (also auch ich) versuchen, ihnen die blutigen Details zu ersparen.
Besagter Grosseinsatz ist keine gute Sache. Und schon gar kein Unterhaltungsprogramm. Klar ist es toll, dass die Rettungskräfte vor Ort sind, um schnell und kompetent zu helfen. Aber darum geht es allenfalls am Rande. Mein Vierjähriger will sehen, wie eine Rettungsspreize zum Einsatz kommt, seit er in der Kita zum ersten Mal das Buch über die Einsatzgerätschaft der Feuerwehr gesehen hat. Dass es dabei darum geht, jemanden, der vermutlich schwer verletzt ist, aus einem völlig demolierten Fahrzeug zu befreien, realisiert er nicht. Seine Schwester und er interessieren sich für diese Dinge, weil sie bunt, laut, gross und aussergewöhnlich sind. Sie wollen die Show.
Gestorben wird erst sehr, sehr viel später
In elterlichen Erzählungen und Büchern gibt es keine abgetrennten Körperteile, keine Leichensäcke, keine trauernden Angehörigen, überforderte Rettungskräfte oder auch nur den Anschein, dass etwas nicht funktionieren könnte. Die Geschichten glänzen mit zuversichtlichen Menschen, nagelneuen Geräten und lösbaren Aufgaben. Und wenn wir ehrlich sind, dann hätten wir Erwachsenen diese Welt auch am liebsten genau so: einfach, überschaubar, lösungsorientiert. Unfälle ereignen sich , sind aber nicht tragisch. Wunden können immer geheilt werden. Alle sterben erst, wenn ihre Zeit gekommen ist. Sehr, sehr viel später, irgendwann. Lohnt sich nicht, weiter darüber nachzudenken.
Ich habe damit begonnen, meine Kinder behutsam darauf hinzuweisen, dass die Gründe für Rettungseinsätze auf der Autobahn meist damit zu tun haben, dass jemand sich verletzt hat. Es fühlt sich nicht gut an. Ich will sie nicht verängstigen, und ich habe auch kein Interesse daran, ihre Begeisterung für Einsatzfahrzeuge und Rettungskräfte zu dämpfen. Denn wie gesagt: Es ist grossartig, dass es sie gibt. Aber diese Fetischisierung macht mich fertig. Dieses luftleere Abfeiern vom Umgang mit kleinen und grossen Katastrophen, ohne dass die Katastrophen auch nur angedeutet werden, halte ich einfach nicht mehr aus. Ein Martinshorn ist kein Auftaktstusch für eine Unterhaltungssendung. Es ist ein Signal dafür, dass viel zu viel auf dem Spiel steht. Ich werde Mittel und Wege finden müssen, das meinen Jüngsten altersgerecht zu erklären. Auch und gerade, weil es keine einfachen Erklärungen gibt.
Weitere interessante Postings:
Der Beitrag Hurra, Papa! Krankenwagen!! erschien zuerst auf Mamablog.