«No Outsiders», keine Aussenseiter. So nennt sich ein Programm, das an englischen Schulen unterrichtet wird und die Kinder lehrt, dass es nicht nur heterosexuelle Menschen gibt, sondern auch LBGTs, also homo- und transsexuelle. Es geht folglich um die sexuelle Orientierung, Sex an sich ist aber nicht das Thema. Vielmehr will man mit dem Unterrichtsprogramm Kindern die Werte des «Equality Act», also des Gleichstellungsgesetzes, vermitteln: dass alle Menschen gleichwertig sind, völlig unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung.
Um dies zu verbildlichen, arbeiten die Lehrer mit Büchern. Da gibt es etwa das Bilderbuch über zwei männliche Pinguine, die ein Pinguinbaby grossziehen. Oder dasjenige über den Jungen, der sich als Meerjungfrau verkleidet.
Unterrichtsstopp wegen Protests
Klingt harmlos? Das sehen viele Eltern ganz anders. Die Proteste gegen «No Outsiders» begannen in einer Schule in Birmingham und weiteten sich bald auf andere Schulhäuser aus. Prorektor Andrew Moffat, der selber homosexuell ist und das Programm 2014 entwickelt hatte, wurde sogar persönlich bedroht, weshalb einige Schulen den «No Outsiders»-Unterricht vorübergehend einstellten.
Dass die schulische Sexualerziehung für Aufregung sorgen kann, haben wir auch hierzulande schon erlebt. Sicher erinnern Sie sich an die Diskussion um die sogenannten «Sexkoffer» mit den Plüschvaginas. Es wurde damals sogar eine Initiative lanciert, die später aber wieder zurückgezogen wurde, um die Kleinen «vor der Sexualisierung im Kindergarten und der Primarschule zu schützen».
Auch an der Schule meiner Kinder stösst die Sexualkunde auf grosses elterliches Interesse. Als meine Tochter in die dritte Klasse kam und es eine Elternveranstaltung zum Thema gab, war der Saal vollgepackt. Anders als an anderen Info-Abenden sah man auch keine beinahe wegdösenden Eltern – alle lauschten höchst aufmerksam. Was uns an dem Abend erzählt wurde, war allerdings absolut harmlos: In der Unterstufe besteht die Sexualkunde hauptsächlich daraus, mit den Kindern ganz allgemein über Gefühle zu reden.
«Schwul» ist immer noch ein Schimpfwort
Ab der Mittelstufe kommen dann laut Lehrplan 21 auch die sexuelle Entwicklung, die sexuelle Gesundheit oder eben die sexuelle Orientierung zur Sprache. Wie die Lehrperson diese Themen umsetzt, bleibt allerdings ihr überlassen. «Sehr oft kommt dann genau das Thema geschlechtliche Vielfalt zu kurz», sagt Yasmin Reber, selber Sekundarlehrerin und Vorstandsmitglied bei ABQ. Der Verein aus Bern setzt sich für einen offeneren Umgang mit Homosexualität ein. Denn auch hierzulande ist «schwul» immer noch ein Schimpfwort und sind gleichgeschlechtliche Beziehungen nach wie vor ein Tabuthema. Das bestätigt auch Katja Hochstrasser, Sexualpädagogin der Organisation SpiZ. Und doch beobachtet sie, wie das Tabu allmählich bröckelt: «Fast jeder kennt jemanden, der schwul oder lesbisch ist», so Hochstrasser. Ausserdem sei das Wissen über Homosexualität dank den digitalen Medien viel breiter geworden.
Um weiter am Tabu zu rütteln, organisiert ABQ jährlich etwa 35 Schulbesuche, bei denen Nicht-Heteros die Klasse besuchen. Die ABQ-Mitglieder reden über Geschlechterrollen, über die rechtliche Lage in der Schweiz und erzählen auch sehr persönliche Coming-out-Geschichten. «Damit decken wir nicht sehr viele Klassen ab», gibt Yasmin Reber zu, «dort, wo wir auftreten, hinterlassen wir jedoch positive Spuren.» Wenn die ABQ-Mitglieder auf Ablehnung stossen, dann meist bei Jugendlichen, die aus einem stark religiösen Umfeld stammen.
Auch die Experten von SpiZ widmen sich bei ihren Schulbesuchen dem Thema Homosexualität. «Wir gehen dabei jeweils auf das Gleichstellungsgesetz ein», sagt Hochstrasser. «Wenn wir Beispiele bringen, in welchen Menschen aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer Vielfalt benachteiligt sind, zum Beispiel beim Heiraten oder Blutspenden, dann wird bei Jugendlichen sehr schnell der Gerechtigkeitssinn aktiv, und sie finden diese ungleiche Behandlung überhaupt nicht fair.»
Ein Aufsatz über Lesben?
Solche Schulbesuche scheinen also ein guter Weg zu sein, um Vorurteile und Hemmungen abzubauen. Und doch gibt es da ein Aber. Denn erstens werden nie alle Schüler solche Begegnungen erleben, da es schlicht nicht genügend Angebote gibt und es vom einzelnen Lehrkörper abhängt, ob ABQ oder andere Organisationen eingeladen werden. Zweitens wird Homosexualität durch eine einzige Begegnung oder Unterrichtssequenz nicht «normal». Wichtig wäre deshalb, den Kindern ganz nebenbei immer wieder zu zeigen, dass es nicht nur Hetero-, sondern auch Homo-Paare gibt. Etwa indem man in der Schule ganz selbstverständlich auch solche Beispiele in den Unterricht einbaut – beim Lesen oder auch bei Rechenaufgaben. Meinetwegen schon in der Unterstufe. Je früher man den Kindern erzählt, dass sich auch Männer in Männer verlieben und Frauen Frauen heiraten können, desto selbstverständlicher gehen sie danach damit um.
An Andrew Moffats Schule in Birmingham scheinen die Kinder jedenfalls ziemlich schnell begriffen zu haben, worum es bei «No Outsiders» eigentlich geht. Während nämlich die Eltern vor den Schultoren immer noch Radau machten, griffen viele Kinder zum Farbstift und malten Zeichnungen und Karten für ihren Prorektor. Was darauf stand? «Keine Aussenseiter! Jeder ist bei uns willkommen.»
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